Alzey, Rheinland-Pfalz

Von der Zwangsarbeit auf die Kranken- und Entbindungsstation

Ab 1941 wurden 550 Patient:innen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen aus der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Alzey in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht und ermordet. Danach wurde die Einrichtung in eine Krankenstation für „Fremdarbeiter“ und ab 1943 auch in eine Entbindungsstation für „Ostarbeiterinnen“ -umgewandelt. Mindestens 70 Menschen überlebten diesen Ort nicht.

Von der Zwangsarbeit auf die Entbindungsstation

Eine der Patientinnen der Entbindungsstation für „Ostarbeiterinnen“ war die Polin Magdalena L. Sie wurde am 25. März 1912 in Dylągówka im Kreis Rzeszów als Tochter des Uhrmachers Antoni L. und seiner Frau Agata geboren. Zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Stanisław wurde sie ins südhessische Klein-Rohrheim verschleppt. Magdalena arbeitete in der Landwirtschaft und im Haushalt. Hochschwanger kam sie am 4. März 1944 auf die Entbindungsstation nach Alzey und gebar am selben Tag ihre Tochter Janina. Eine Woche später starb sie im Alter von 31 Jahren an „Fieber im Kindbett“. L. war ledig und hatte mit Janina das zweite uneheliche Kind geboren. Den Akten lässt sich über die Vaterschaft und die Umstände der Schwangerschaft nichts entnehmen. Die Frage nach „verbotenem Umgang“ – einem Verhältnis zu einem Deutschen – wurde in den überlieferten Dokumenten nicht aufgeworfen.

Schreiben der Wiesbadener SS vom 21. Juni 1944.

Bild: Archiv Rheinhessen-Fachklinik Alzey.

„Nicht erwünschter Bevölkerungszuwachs“

Ein Schreiben der Wiesbadener SS offenbart die rassistische Ideologie, nach der die Zwangsarbeiter:innen in der deutschen Gesellschaft behandelt wurden, und die konkreten Folgen, die dies für sie hatte.

„Das Kind der Magdalena L. ist […] nicht als erwünschter Bevölkerungszuwachs zu werten. Einrichtungen, die der Förderung oder Unterbringung deutscher Kinder dienen, sind für diese Kinder nicht in Anspruch zu nehmen.“
Janina L. 1946 mit ihrer Patin Oberschwester Luise E.

Bild: Privatarchiv.

Dieser systematisch angeordneten Vernachlässigung zum Trotz überlebte Janina und verblieb auch über die deutsche Kapitulation hinaus in der Klinik, wo sich offenbar jemand um sie kümmerte. Am 5. September 1945 wurde das Kind von der in Alzey wohnenden Familie Trautmann in Obhut genommen. Im Alter von vier Jahren wurde Janina wohl zur Verwandtschaft nach Polen gegeben. Später wanderte sie wieder nach Deutschland aus.

Im NS-Sprachgebrauch wurde das Verbrechen der massenhaften Ermordung von Menschen mit Behinderungen als „Euthanasie“ bezeichnet. Ein Mahnmal auf dem Gelände der heutigen Fachklinik Alzey erinnert daran.

Bild: Julia Röttjer, 2022.