Über das Projekt

„Nach dem Krieg waren sie
dann einfach verschwunden.“

So enden viele Geschichten, wie sie in Familien, Betrieben, Dörfern und Städten erzählt wurden – oder erzählt werden könnten. Der Satz ist mit einem leisen Zweifel hinterlegt, mit Unsicherheit, mit Fragen an die Vergangenheit. Er wird aus einer großen, nicht nur zeitlichen Distanz ausgesprochen.

Er ist zugleich eine Spur, die in eine nicht sehr bekannte, aber in der Mitte des 20. Jahrhunderts allgegenwärtige und viel größere Geschichte hineinführt: die Geschichte der nahezu drei Millionen Menschen aus Polen, die sich während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach in Deutschland (in den heutigen Grenzen) aufhielten. Viele Orte, Gegenstände, Menschen und Dokumente erinnern bis heute daran – Lebenszeichen. Mancherorts sind sie unsichtbar, verborgen, vergessen, versteckt, verdrängt. Andernorts wurden und werden sie ausgegraben, aufgearbeitet und gekennzeichnet.

„Diese Orte sind nicht nur Bestandteil der Vergangenheit und Gegenwart polnischen Lebens in Deutschland. Die Erforschung und Erzählung ihrer Geschichten sind ein wichtiger Teil des deutsch-polnischen Verhältnisses.“ 
Peter Oliver Loew, Direktor des Deutschen Polen-Instituts

In dieser Ausstellung begeben wir uns auf die Suche nach den Menschen, deren Geschichten in Spuren und Erzählungen sichtbar gemacht werden – oder unsichtbar bleiben. Manche verbrachten zwangsweise mehrere Jahre im Deutschen Reich, manche blieben nur kurze Zeit. Die allermeisten kamen während des Kriegs als Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangene. Oder sie waren Häftlinge aus Konzentrationslagern, darunter polnische Jüdinnen und Juden. In manchen Fällen lebten Polinnen und Polen bereits vor dem Überfall auf Polen im Deutschen Reich. Und gegen Kriegsende gab es mancherorts Angehörige der polnischen Armee als alliierte Streitkräfte.

Nach der Kapitulation Deutschlands befanden sie alle sich fern ihrer Heimat. Viele kehrten auf kräftezehrenden und gefährlichen Wegen so schnell wie möglich, auf eigene Faust oder von den Alliierten organisiert, nach Polen zurück. Doch viele wollten oder konnten auch nicht zurück, etwa weil ihre Heimatregion nun ein Teil der Sowjetunion geworden war oder aus politischen Gründen. Sie blieben, zumindest vorerst, als sogenannte Displaced Persons in Deutschland. Die Auswanderung in ein anderes Land war meist schwierig. 

„Einige Menschen blieben, gingen vielfältige Verbindungen ein und lebten jahrzehntelang an den Orten, an denen sie zuvor Zwangsarbeit hatten leisten müssen. In ihren ‚Lebenszeichen‘ sehen wir nicht allein Spuren von Opfern des menschenverachtenden NS-Regimes, sondern auch von Menschen als handelnde Subjekte. Sie waren zunächst aus ihrer früheren Existenz gerissen worden, kämpften um ihr Überleben, arrangierten sich, interagierten mit den Leuten in ihrer Umgebung, schmiedeten Pläne, hatten Heimweh, lebten hier.“ 
Julia Röttjer, Projekt „Lebenszeichen“

Die Beschäftigung mit all diesen Menschen und ihren Spuren, gerade auf lokaler Ebene, erweitert die Geschichte des Nationalsozialismus und den Blick auf die eigene Region. Was erinnert heute noch an die Menschen aus Polen und ihre Geschichten?