Mainz-Gonsenheim, Rheinland-Pfalz
Kontroverse Gedenklandschaften und umgedeutete Erinnerungen
In Mainz-Gonsenheim wurde 1942 ein polnischer Zwangsarbeiter von der Gestapo hingerichtet, weil ihm eine Liebesbeziehung zu einer deutschen Frau vorgeworfen wurde. Heute erinnert eine Inschrift in einer größeren Denkmalanlage an den Tod des Zwangsarbeiters. Allerdings ist der Hinweis so versteckt in die Anlage integriert und wird von anderen Topoi und Schichten der Erinnerung derart überlagert, dass von einer öffentlichen Erinnerung kaum die Rede sein kann.
Am Großen Sand in Mainz-Gonsenheim befand sich in der Nähe der Panzerwerke das sogenannte „Russenlager“. Hier waren etwa 400 Personen aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich und Italien inhaftiert, die als Zwangsarbeitskräfte zu Instandsetzungsarbeiten auf dem Betriebsgelände des Mainzer Bahnhofs gezwungen wurden. Nach dem Krieg wurde in der Gonsenheimer Kathen-Kaserne ein Lager für displaced persons eingerichtet.
Insgesamt wurden in Mainz, der heutigen Hauptstadt von Rheinland-Pfalz, sehr viele Zwangsarbeitskräfte eingesetzt, nicht nur in der Rüstungs- und Großindustrie, sondern auch in kleinen und mittelständischen Betrieben, in der Landwirtschaft, in der öffentlichen Verwaltung und Privathaushalten. Außerdem wurden sie zur Minen- und Bombenräumung gezwungen. So wurden allein im Jahr 1943 mehr als 3.400 Menschen in insgesamt 42 Lagern auf dem Mainzer Stadtgebiet gefangen gehalten und zur Zwangsarbeit herangezogen. Es waren Männer, Frauen und Kinder aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Italien und anderen.
Auf der Ingelheimer Aue, einer ehemaligen Rheininsel, die den Norden der heutigen Mainzer Neustadt einnimmt, wurde eines der größten Lager im Mainzer Raum errichtet, das „Straflager Rhein“ (heute befindet sich dort das Gelände der Firma Wepa). Unter anderem wurden hier für die Firma Pfleiderer Betonplatten gefertigt. Fast alle Mainzer Industriebetriebe, wie etwa Blendax, Erdal, Kraftwerke Mainz-Wiesbaden, Westwaggon AG, setzten Zwangsarbeitskräfte ein, die oft in eigenen Lagern untergebracht waren
In Mainz-Gonsenheim wurde 1942 ein polnischer Zwangsarbeiter von der Gestapo hingerichtet, weil ihm eine Liebesbeziehung zu einer deutschen Frau vorgeworfen wurde. Heute erinnert eine Inschrift in einer größeren Denkmalanlage an den Tod des Zwangsarbeiters. Allerdings ist der Hinweis so versteckt in die Anlage integriert und wird von anderen Topoi und Schichten der Erinnerung derart überlagert, dass von einer öffentlichen Erinnerung kaum die Rede sein kann. Auch insgesamt führt die Art der Denkmalanlage immer wieder zu Kontroversen.
Julia Röttjer
Es handelt sich eigentlich um ein Ehrenmal für Tote des Ersten Weltkriegs, das sich an der Ecke Juxplatz, Breite Straße an zentraler Stelle in Gonsenheim befindet. Errichtet wurde es aber während des Nationalsozialismus 1938. Die martialische und heroische Bildsprache legt davon Zeugnis ab. Ein überlebensgroßer Soldat reckt sich himmelwärts, die ganze Anlage ist wie ein kleiner Ehrenhof gestaltet.
In den 1950er Jahren wurde das Ehrenmal erweitert, um auch der Toten des Zweiten Weltkriegs zu gedenken – seither sind hier nun auch Namen von Gonsenheimern eingemeißelt, die im Krieg gefallen sind. Zusätzlich wurde in der Mitte ein Steinquader mit Reliefs installiert, die sich zwar auf Trauer als Motiv stützen, allerdings eine heroische Bildsprache fortsetzen und auch die Inschrift tragen:
Sie starben in Gehorsam für unser Volk, 1939–1945Inschrift auf dem Gonsenheimer Mahnmal
Ausgerechnet auf der Rückseite dieses Blocks wird u. a. des ermordeten Zwangsarbeiters gedacht. Die Inschrift hier lautet:
Gefallen oder in Kriegsgefangenschaft vertorb[ene] Wehrmachtsangehörige 330
Für tot erklärte Wehrmachtsangehörige 70
Opfer der Heimat Zivilpersonen 55
Vermisste Wehrmachtsangehörige 35
Am 27.2.194544 getötete Zivilperson[en] 8
In Gonsenheim gefallene auswärtige Soldaten 12
In Gonsenheim hingericht[ete] Wehrmachtsangehör[ige] 10
In Gonsenheim hingerichteter Fremdarbeiter 1
Bei Unfall mit Sprengmunition getötete Kinder 2Inschrift auf der Rückseite des Gonsenheimer Mahnmals
Zu einem späteren Zeitpunkt wurde von vorn an der Seite des Ehrenhofs eine Tafel angebracht mit dem Hinweis:
Dieses Mahnmal soll die Erinnerung wachhalten an alle Opfer von Krieg, Folter und Gewalt. Unsere Trauer gilt den Leiden der Menschen die sich zu allen Zeiten Diktatur und Unterdrückung widersetzten und dafür mit ihrem Leben bezahltenSeitliche Inschrift an der Umfriedung des Gonsenheimer Mahnmals
Dass eine derartige Ineinssetzung von allen möglichen Opfergruppen, Vermischung mit Tätern, und Exkulpierung unter Verweis auf „Volk“ und „Gehorsam“ durch eine nachträgliche Erklärung dessen, wofür das Mahnmal zu stehen habe, die bis heute vorhandene Kritik und wiederkehrende Protestaktionen hervorruft, kann nicht verwundern. Dies gilt umso mehr, als die „Erklärungs-Tafel“ einen ahistorisch formulierten Text enthält, der dennoch ein (neues) Motiv einführt, nämlich das des Widerstands. Damit wird eine Erzählung angedeutet, die wiederum in keiner Verbindung zur Lebensrealität fast aller Opfer steht, derer mit dem Mahnmal gedacht werden sollte – nicht zuletzt im Hinblick auf den polnischen Zwangsarbeiter, der für sein vorgebliches Vergehen gegen willkürliche und rassistische Regeln ermordet wurde.