Obernhof, Rheinland-Pfalz
Kloster Arnstein: eklatante Leerstelle in der Erinnerung
Am Kloster Arnstein im Lahntal wurde 1987 eine Gedenktafel eingeweiht für den Vorsteher der Klostergemeinschaft, Vizeprovinzial P. Alfons Spix. Er wurde aufgrund des Verhaltens gegenüber polnischen Zwangsarbeitskräften verhaftet und nach längerer Haftzeit im Polizeigefängnis in Frankfurt am Main schließlich nach Dachau verschleppt, wo er verstarb. Außerdem wurde 2012 dort ein Stolperstein für ihn verlegt. Dort sowie auch in der Umgebung findet sich allerdings kein Gedenkzeichen für die polnischen Zwangsarbeitskräfte selbst.
Joachim Rotberg hat näher beleuchtet, worauf sich diese Erinnerung an P. Alfons Spix bezieht: Im Frühjahr 1941 ließ der Konvent von Arnstein „in offensichtlicher Unkenntnis der […] erlassenen Bestimmungen Polen, die bei den Bauern der Umgebung beschäftigt waren, am Pfarrgottesdienst teilnehmen […]. Pater Spix hatte sogar veranlasst, ihnen nach der Hl. Messe Brot und Kaffee auszugeben." In der Nähe gab es in Singhofen ein Zivilarbeiterlager mit 80 Insassen; nähere Angaben zur Chronologie oder zu den dort befindlichen Zwangsarbeitskräften und ihren Herkunftsländern gibt es allerdings nicht. 1940 gab es in der Pfarrei Arnstein wohl 28 Polinnen und 5 Polen als Arbeitskräfte. Anfang November 1941 wurde Spix wegen des Gottesdienstbesuchs erstmals von der Gestapo in Koblenz verhaftet, verhört und verwarnt. Am 16. November 1941 erschienen wiederum einige polnische Arbeitskräfte zum Gottesdienst. Sie arbeiteten wohl beim Ortsbauernführer und waren von diesem dorthin gesandt worden, um die Ordensbrüder zu testen und dem Kloster zu schaden, wie der Chronist des Klosters vermutete. Demnach habe Spix sie auch erst während seiner Predigt wahrgenommen und sei darüber sehr erschrocken. „Nach der Messe wies er den Küster an, aus Gründen seiner persönlichen Sicherheit dafür zu sorgen, dass die polnischen Gläubigen nicht noch einmal zum Hochamt kämen“, so fasst es der Historiker Joachim Rotfeld zusammen. Doch schon drei Tage später wurde der Klostervorsteher verhaftet und nach Frankfurt am Main gebracht, wo er zunächst vier Wochen unter sehr schlechten Bedingungen im Polizeigefängnis zubringen und die Verhöre der Gestapo erdulden musste, bevor er in Untersuchungshaft kam. Ende Januar 1942 wurde er nach Dachau deportiert. Er hauste dort in einer Baracke mit hauptsächlich polnischen Priestern und Ordensleuten. Er starb wohl am 9. August 1942 aufgrund der hygienischen Verhältnisse und der harten Arbeit an Entkräftung und einer entzündlichen Erkrankung im Alter von 48 Jahren.
Obwohl die Zulassung von Polinnen und Polen zum Gottesdienst wohl eher zufällig geschah und u. a. seine Korrespondenz aus der Haft zeigte, dass er an ihrem Schicksal keinen besonderen Anteil nahm, wurde und werden Pater Alfons Spix‘ Motive – und damit letztlich seine Person – in der Erinnerung doch teilweise überhöht und ihm Märtyrertum zugeschrieben. Sein Verhalten, die Arbeitskräfte nach dem Gottesdienstbesuch mit Essen versorgen zu lassen, wurde sicher von seiner christlichen Nächstenliebe geleitet. Für diese (und wahrscheinlich andere) unabhängige Verhaltensweisen wurde er verfolgt und zum Opfer der Nationalsozialisten, starb schließlich im Konzentrationslager. Nachvollziehbarerweise wurde er deswegen mit Andenken geehrt, einmal 1987 mit der Gedenktafel und dann 2013 mit dem Stolperstein. Außerdem gibt es immer wieder Andachten, die an ihn erinnern, und sein Schicksal ist Gegenstand einer theologischen Diplomarbeit. Der Verfasser, Stefan Gerhard Diefenbach, auf den auch die Stolpersteininitiative zurückgeht, relativierte das Märtyrerbild, nennt Spix ein Vorbild jenseits von Heldentum.
Christof Schimsheimer, 2024
Eine eklatante Leerstelle in der Erinnerung spielen allerdings die polnischen Zwangsarbeiter:innen der Umgebung. Nach der Verhaftung von Alfons Spix sank aus nachvollziehbaren Gründen sicher noch die Bereitschaft, sich um sie zu kümmern. Nach Kriegsende 1945 enthält die Arnsteiner Klosterchronik sogar noch einen sehr negativen Eintrag über die Polinnen und Polen, die als ehemalige Zwangsarbeitskräfte und zumindest vorübergehend Heimatlose nun als Displaced Persons in der Gegend zusammengezogen wurden (DP Camp Niederlahnstein). Ihre Namen sind in Arnstein nicht bekannt und sie werden nicht erinnert. Im öffentlichen Raum und in Zeitungsveröffentlichungen zu Jahrestagen von Pater Spix‘ Tod oder ähnlichen Formaten findet sich kein Hinweis auf Gedanken um ihre Lebensumstände, die eigentlich viel größere Notwendigkeit einer regelmäßigen Versorgung mit Lebensmitteln und auch mit Seelsorge, die Folgen der Zwangsarbeit für ihr Leben, und um mögliche Todesopfer.